11.3.07

Theo, die Rose von Jericho (Teil 1)















Die Geschichten geben den Werdegang des Deutsch Drahthaar Rüden "Theo" in 4 Teilen wieder, von der Ankunft im Februar 2006 bei mir auf der Pflegestation vom Jagdhundhilfeverein Krambambulli e.V. bis zu seiner vollständigen Integration beim endghültigen Halter binnen eines Jahres.

Alle Berichte wurden erstmalig auf der Internetseite des Jagdhundhilfevereins Krambambulli e.V. veröffentlicht und ich habe sie hier auf meinem Jagdblog in 4 Fortsetzungsgeschichten zusammengefasst.



Die ersten Wochen von Theo auf der Pflegestation von Krambambulli

Theo, die Rose von Jericho (Teil 1)

Von Stefan Fügner, eingeschickt am 18.02.2006 09:36


Alle Pflanzenliebhaber kennen sie, die Rose von Jericho, ein kleines Naturwunder. Beheimatet im vorderen Orient, sehen sie in der Trockenperiode aus, wie ein faustgroßes zusammen geknäultes verdörrtes Astwerk einer Konifere. In der Regenzeit aber, wenn der scheinbar vertrocknete Pflanzenrest Wasser bekommt, entfaltet sie sich binnen Stunden zu einer prächtigen, saftig grünen tellerartigen Bodenpflanze. Botaniker führen das Naturschauspiel gerne mittels eines mit Wasser gefüllten Tellers vor, in den man die Rose von Jericho hineinlegt, damit man sieht, wie scheinbar totes Geäst durch Wasser plötzlich zu Leben erweckt wird.
Theo, der Drahthaar Welpe, verdient den Beinamen „Die Rose von Jericho“. Warum das so ist, möchte ich hier erzählen.


Es war Sonntag spät am Nachmittag, als das Telefon klingelte: “Hier ist der Hundetransport. Wir sind gleich bei Ihnen und bringen Ihnen den Jagdhund aus der Türkei.“ Nach einer kurzen Beschreibung, wie man von der Autobahn zu mir kommt und dem Hinweis, dass ich im Wendehammer mit Leine warte, ging ich hinunter, um Theo in Empfang zu nehmen.
Ein alter Lieferwagen erschien und zwei grobe Männer stiegen aus. Eine kurze Begrüßung und der Hinweis , dass man schnell weiter müsse, schließlich sei man um 12.00 Uhr nachts in Rumänien losgefahren und müsse noch nach Köln. Die Frage, ob die Hunde im Transporter zwischendurch ausgeführt worden waren, ersparte ich mir, als mir beim Öffnen der Tür Kot- und Uringeruch entgegenkam.
Ein halbes Dutzend Hunde bellte mich aus Transportboxen mit ohrenbetäubendem Krach an. „Da ist er drin“, sagte eine der Männerstimmen und deutete auf eine der Boxen, sichtlich sich davor drückend, den Hund aus der Box zu holen. Vorsichtig öffnete ich das Verschlussgitter und versuchte Theo mit beruhigender Stimme zu locken, sofern das bei dem Lärm des Hundegebells überhaupt möglich war. Eine schwarze Hundenase zeigte sich kurz und verschwand auch sofort wieder. Ich beugte mich vor die Box und dort sah ich dann Theo zusammengekauert an die Rückwand der Box gedrückt. Beruhigend auf ihn einredend schob ich die Halsung, die ich wohlweislich sehr groß gestellt hatte, über seinen Kopf. Dies klappte ohne Probleme - und vor allem ohne Biss in die Hand!
„Komm, Theo, komm!“ versuchte ich ihn zu locken und Theo kroch vorsichtig und zitternd aus der Box. Sofort sprang er einem der Männer an die Brust, versuchte sich mit den Vorderpfoten an dessen Bauch festzuklammern und vergrub seinen Kopf in dessen Pullover.
Der Mann befreite sich vom Hund und verabschiedete sich von mir. Ich sah noch dem verschwindenden Auto nach und dachte an die anderen Hunde, die im Auto einem hoffentlich gutem Schicksal entgegen fuhren, da hatte mich die Realität in Gestalt eines Pflegehundes schon wieder eingeholt.

Doch welch ein Anblick!
Der Kopf hing weit hinab, völlig abgemagert und mit einem Krummrücken wie ein alter Gaul. Die kleine Stummelrute war derart eingeklemmt, dass man sie nicht sah. Tiefe rotunterlaufene Augen mit einem traurigen Blick. So stand ich mit dem Haufen Elend an der Leine bei uns im Wendehammer. Das soll ein 8 Monate alter Deutsch-Drathaar Welpe sein? Der ganze Hund war ein Bild des Jammers. Zudem roch er nach Kot und Urin, aber nicht nach dem nur für Hundebesitzer angenehmen typischen Hundegeruch.

„So, dann zeige ich Dir mal Dein neues Zuhause“ murmelte ich, auch um mich vom Schock des Anblicks zu befreien. Doch leichter gesagt, als getan. Kaum war ich 2-3 Schritte gegangen, sprang Theo mir an die Brust, klammerte sich mit den Pfoten am Mantel fest und drückte seinen Kopf an meinen Bauch, so wie er es beim Fahrer des Hundetransportes getan hatte. Ich streichelt ihn, nahm seine Beine und stellt ihn wieder hin. Dies ging nun immerfort und an ein normales Laufen an der Leine war gar nicht zu denken. Als wir endlich das Haus erreicht hatten, hatte er wenigstens auf dem Weg seine übervolle Blase geleert. Ich führte in durch den Garten, aber Theo stand immer nur da, zeigte keinerlei Interesse und schaute nur mit leerem Blick vor sich hin. Als er das Haus betrat, ließ ihn meine Wachtel ohne Knurren an der Haustür passieren. Dies war ein gutes Zeichen, da sie normalerweise alle Pflegehunde erst einmal anknurrt und ihnen dadurch zeigt, dass sie hier die Chefin ist. Aber scheinbar hatte auch meine ansonsten zickige Wachtel nur Mitleid mit Theo.
Kaum im Haus, hob er am Beistelltisch das Bein. Doch es kam noch besser. Als ich gerade dabei war die Flecken des ersten Geschäfts zu beseitigen, saß er auf dem Teppich und verrichtete sein großes Geschäft. „Sauber ist er also auch noch nicht“ stellte ich mit mittlerweile eingekehrter Nüchternheit fest! Als das Wohnzimmer sauber war, wollte ich mit ihm eine kleine Runde drehen, aber dies war leichter gesagt, als getan. Das kleinste Geräusch oder der Anblick eines Menschen verängstigte ihn derart , dass er sich vor mich stellte, mich ansprang, festklammerte und ein normales Laufen an der Leine gar nicht möglich war.
Das Fressen, das er am Abend bekam, war binnen Sekunden verschlungen. Für die Nacht hatte ich ihm eine große Decke an die Heizung gelegt und nachdem es dann um 1.00 Uhr nachts noch einmal in den Garten ging, wurde er an seiner Decke angeleint. Ganz früh am Morgen ging ich zu ihm und das, was sich mir da bot, übertraf alles bisher Dagewesene. Theo lag inmitten mehrere Kothaufen seines Durchfalls, die er auf der Decke verteilt hatte. Als ich an ihn herantrat, schämte er sich derart, dass er zusätzlich noch unter sich urinierte.Vom Anblick derart erschüttert, musste ich mich erst einmal hinsetzen und mich fassen. Er hatte noch nicht einmal die Decke verlassen, um seine Notdurft neben seinem Lager zu verrichten, was trotz der Leine problemlos möglich gewesen wäre. Scheinbar hatte er jegliches Gefühl von Reinlichkeit verloren oder überhaupt noch nie verinnerlicht. Er wurde nun stündlich in den Garten geführt. Am Abend ging es dann zum Tierarzt zwecks Generaluntersuchung. Als ich die Tür der Tierarztpraxis öffnete, legte Theo sich flach auf den Boden, urinierte in den Eingang und wollte keinen Millimeter mehr weiter. Scheinbar erinnerte ihn der Geruch an das Tierheim, aus dem er kam.
Ich hatte aber schon an diesem ersten Tag erkannt, dass sich dieses verkrampfte „auf-den-Boden-legen“ sofort mit einer ruhigen Stimme aufhob und er zu mir kam. Wenn ich ihn dann noch am Kopf kraulte, schöpfte er Vertrauen und folgte mir. Dies klappte auch beim Tierarzt und auch beim Gang zur Waage, den er abermals mit verkrampften Hinlegen verweigerte, funktionierte es erneut. Als ich ihn beruhigend lockte, stieg er alleine auf die Waage und ließ sich durch Kraulen beruhigen und blieb brav sitzen.
Die ersten 5 Tage ging es stündlich in den Garten und nachts um 1.00 Uhr das letzte mal. Doch bis zum Morgen schaffte es Theo erst am 6. Tag, dann erst hatte sich der Darm stabilisiert. Theo bekam in diesen Tagen eine alte Liegestuhlauflage als Decke und das hatte zumindest den Vorteil, dass er nur noch auf den Steinboden seine Notdurft verrichtete und nicht mehr auf seiner Decke.
Den ersten Morgen, der ohne Wassereimer und Wischtuch begann, feierte ich innerlich wie einen großen Sieg.
Die bereits erwähnte Fähigkeit von Theo, eine liebe gütige Stimme von einer groben genau unterscheiden zu können, machte ich mir zunutze. Außerdem war Theo zwar erst 8 Monate, hatte aber die Erfahrung eines 3-4-jährigen Hundes. Dadurch veränderte sich Theo stündlich! Durch seine schnelle Auffassungsgabe und seine für sein Alter große Erfahrung erkannte er, dass hier jemand war, der ihm in Notsituationen hilft. Wenn Theo verängstigt den Schwanz einkniff, ging ich in die Hocke, nahm ihn in Empfang, setzte ihn vor mich hin, streichelte ich ihn und redete beruhigend auf ihn ein.
Dadurch wurde schon nach 3 Tagen aus dem ängstlichen Haufen Hund ein selbstbewusster pubertierender Jungrüde. Sah er einen Hund entgegen kommen, schaute er kurz, ob meine Wachtel, seine große Schwester neben ihm ist und ob ich, sein großer Bruder, hinter ihm steht. Dann nahm er eine Stellung wie ein Paradepferd ein und bellte laut den Hund an. Am 4. Tag durfte er dann frei im Haus herumlaufen und nahm sofort die von meiner Wachtel vernachlässigte Hauswächterposition ein. Grollend stand er von nun an mit den Vorderpfoten auf der Fensterbank und beobachtet den Garten und bellte, wenn das Postauto oder andere Besucher der Nachbarn den Berg hoch kamen. Als er das erste mal den Ziegen im Gatter im Weinberg begegnete, zeigte er seine typische Angsthaltung des „flach-auf-den-Boden-legen“. Doch schon beim 2. Besuch bellte er zusammen mit meiner Wachtel mit tiefer Stimme die Ziegen an.
Bei unseren Spaziergängen zeigt er nach nur einer Woche alle Fähigkeiten, die ein 8 Monate alter, passionierter Jagdhund zeigen muss. Er arbeitet frische Fährten, steckt überall seine Nase hinein und jagt allem, was wegfliegt, stürmisch und unbekümmert hinterher. Doch das größte Lob gab es vom Tierarzt. Genau eine Woche später, am nächsten Montag, mussten wir zur Nachuntersuchung. Theo saß aufmerksam und sicher zwischen meinen Beinen im Wartezimmer und jeder Hund, der hinein kam und nicht die nötige Furcht zeigte, wurde durch tiefes Knurren zurechtgewiesen. Theo war der Chef im Wartezimmer und alles hörte auf sein Kommando! Als ich Theo dann dem Tierarzt vorführte, konnte dieser kaum fassen, dass dies der gleiche Hund sei, wie der, den er letzten Montag untersucht hatte. Auch er war von Theos Entwicklung völlig überrascht.
Noch nie habe ich in meinem Leben einen Hund erlebt, der sich in so wenigen Tagen von einem Haufen Elend zu einem fröhlichen ungestümen Junghund entwickelte.
Deshalb bleibt Theo mir als „Die Rose von Jericho“ in ewiger Erinnerung.

Stefan Fügner

weiter zu Teil 2

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