19.10.07

Eine Jagdtasche mit Erinnerungen

Durch den starken Rückgang der Niederwildstrecken bei gleichzeitiger Zunahme der Schwarzwildbestände und die damit verbundenen jagdliche Hinwendung zu Drückjagden hat dazu geführt, dass nicht nur für die Vorstehhunde die Arbeit weniger wurde. Auch einige Jagdutensilien waren bei mir seit vielen Jahren unberührt in Schränken verschwunden.
Als es dann gestern nach einigen Jahren mal wieder hieß: "Wir wollen mal nach den Fasanen sehen", mussten abends zuvor die Jagdsachen für eine Niederwildjagd zusammengestellt werden. Dabei kramte ich auch nach meiner lieben Jagdtasche mit Hühnergalgen, die ich schon einige Jahre ungenutzt im Schrank liegen hatte.
Sofort sah ich mit Schrecken, dass sie eine dringende Behandlung mit Lederfett benötigte und so machte ich mich an die Arbeit.
Und während ich mit Wischlappen und Lederfett der Tasche neues Leben einhauchte, gingen mir die Erinnerungen an diese Tasche durch den Kopf. Sie ist ein Erbstück meines Lehrprinzen Heinrich Kaiser, ein jagdliches Urgestein, der keine Kinder hatte und dessen Witwe mir das Stück, wie viele andere seiner Jagdsachen, vermacht hatte.
Nun bin ich selbst nicht mehr der jüngste und ich begann zu rechnen und stellte fest, dass die Tasche nun weit über 70 Jahre alt sein muss, denn mein Lehrprinz hatte 1928 seinen ersten Jagdschein gelöst und war vom ersten Tag an ein begeisterter Niederwildjäger. Da er alle seine Jagdsachen, auch seine Gewehre (aber das ist eine andere Geschichte) über die Nachkriegszeit gerettet hatte, kann davon ausgegangen werden, dass diese Tasche mittlerweile ein Alter erreicht hat, das ihr eigentlich den Daueraufenthalt in einem Jagdmuseum sicher wäre.

Als ich genügend Fett auf die Tasche und den Riemen aufgetragen hatte, schwelgte ich geistig in meinen jagdlichen Erinnerungen an meinen Lehrprinzen und griff zu meinen alten Jagdtagebüchern. Dort stieß ich dann auf ein kopiertes Blatt Papier, dass ich dort eingeklebt hatte. Es ist der Text der Grabrede anlässlich der Beerdigung meines Lehrprinzen, die ich dort zu meinen eigenen Eintragungen beigefügt hatte. Ein wenig feucht wurden die Augen schon, als ich nach vielen Jahren den Text der Rede wieder las. Aber dafür sind schließlich Jagdtagebücher da, damit man sich das Erlebte ab und an wieder in Erinnerung rufen kann und wenn der Auslöser das Herrichten einer über 70 Jahre alten Tasche ist und ich dadurch die Erinnerung an meinen Lehrprinzen wieder auffrischen kann.

Die Person meines Lehrprinzen konnte wohl kaum treffender beschreiben werden, wie durch die Grabrede seines Jagdfreundes Dr. Peter Doll, der fast 50 Jahre mit ihm zur Jagd ging und selbst nun schon viele Jahre tot ist.

Zur Erinnerung an meinen Lehrprinzen und das jagdliche Urgestein Harry Kaiser die Grabrede von vor 27 Jahren hier im Jagdblog.

waidmannsheil

Euer

stefan



Am offenen Grabe von Heinrich Kaiser . 15. Juni 1980
von Dr. Peter Doll

Liebe Angehörige! Liebe Trauergäste!

Heinrich Kaiser ist von uns gegangen.
Mit ihm stirbt eine Ära, in der die jagdliche Welt noch in Ordnung war!
Heinrich Kaiser übte die Jagd in Sindolsheim fast ein halbes Jahrhundert aus und ist so zu einem integrierten Bestandteil Sindolsheims geworden.
Im Jahresverlaufe waren es immer Festtage in Sindolsheim, wenn die Düsseldorfer Jäger zur Treibjagd kamen und das ganze Dorf, vor allem auch die Kinder als Treiber, feierten mit.
Unser Harry Kaiser war ein Jäger der alte Schule, ohne Fehl und Tadel, mehr Heger als Jäger!
Nicht Beute, sondern das Naturerlebnis waren ihm Lohn der Jagd.
Er war immer freundlich, hatte für jeden Zeit und Rat, sagte nie ein Wort zuviel, hatte keine Feinde, drängte sich nie in den Vordergrund und war trotzdem Mittelpunkt, um den sich die Jäger scharten, eine Gallionsfigur, nach dem sich die Jäger ausrichteten.
So wurde er ein leuchtendes Beispiel für uns Jäger, vor allem ein guter Lehrprinz der Jungjäger!
Bei Treibjagden stets der erste, beim letzten Trieb- wie ein Fels in der Brandung der Letzte.
Für mich ein unvergessliches Bild, wenn er im herbstlich-winterlichen Nebelwald, im flatternden langen Mantel, die Waffe um den Hals, einen überdimensionalen, irgendwo aufgenommenen Knotenstock in der Linken, unwirklich durch den Nebel schwebte, wie ein urweltlicher Berggeist, wie eine Christopherusfigur!
Er war fromm auf seine Art, ehrte den Schöpfer im Geschöpfe, einer innigen Naturverbundenheit, in der der Jäger das Gefühl hat, Gott besonders nahe zu sein.
In einem ewigen Kreislauf der Natur kehrt sein Leib zurück in den Schoss der Mutter Erde, seine Seele heim zum Schöpfer.
Für uns aber lebt er weiter in unseren Herzen, unseren Erinnerungen und Erzählungen am Lagerfeuer und letzten Trieb nach der Jagd.
Lieber Harry, wir rufen Dir ein letztes Halali zu!
Wir wollen uns bemühen, Deine jagdliche Ethik weiterzuführen.
Wir danken Dir für die vielen schönen jagdlichen Erlebnisse, die wir mit Dir verbringen durften!
In Trauer und tiefer Verehrung lege ich Dir, dem Freund und Waidgenossen im Namen der Sindolsheimer Jäger diesen Kranz nieder.

Ruhe in Frieden

Keine Kommentare: