von Dr. Wolfgang Lipps
Jagdgenossenschaften dienen nicht unmittelbar und überwiegend dem Schutz und der Förderung der Landwirtschaft und sind deshalb nicht sozialversicherungspflichtig.
Die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften behaupten seit geraumer Zeit, die Jagdgenossenschaften seien zwar nicht unmittelbar Jagden, die bei ihnen nach § 123 Abs. 1 SGB VII versicherungspflichtig seien, aber sie dienten überwiegend und unmittelbar der Sicherung, Überwachung oder Förderung der Landwirtschaft. Deswegen hat die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft Mittel- und Ostdeutschland gegen eine Jagdgenossenschaft in Brandenburg einen Bescheid über den Beginn ihrer Zuständigkeit für diese Jagdgenossenschaft und auf der Grundlage dieses Bescheides Beitragsbescheide erlassen. Die Jagdgenossenschaft legte Widerspruch sowohl gegen den Zuständigkeitsbescheid als auch gegen die Beitragsbescheide ein und klagte gegen den ablehnenden Widerspruchsbescheid vor dem Sozialgericht Frankfurt (Oder). Die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft berief sich auf zwei Urteile einmal des Sozialgerichts Gotha vom 24.02.2003 und des Sozialgerichts Braunschweig vom 03.09.2004, die in ihrem Sinne entschieden hätten.
Das Sozialgericht Frankfurt (Oder) hob durch Urteil vom 30. September 2009, Aktenzeichen: S 10 U 19/07 (noch nicht rechtskräftig) den Zuständigkeitsbescheid und alle Beitragsbescheide auf, setzte den Streitwert auf 5.000,00 EUR fest, und verurteilte die Berufsgenossenschaft zur Kostentragung.
Das Sozialgericht folgte voll umfänglich der Argumentation der Klägerin und stellte klar:
Nach ständiger übereinstimmender Rechtsauffassung gehört eine Jagdgenossenschaft nur dann zu den versicherungspflichtigen „Jagden“ im Sinne des Gesetzes, wenn sie die Jagd im gemeinschaftlichen Jagdbezirk selbst durch angesellte Jäger ausüben lässt. Wenn sie das Jagdausübungsrecht jedoch verpachtet, fällt sie nicht unter den Begriff Jagden. Aber die Jagdgenossenschaft diene auch nicht unmittelbar und überwiegend der Sicherung, Überwachung oder Förderung der Landwirtschaft. Vielmehr diene die Jagdgenossenschaft überwiegend und fast ausschließlich der Wildhege. Zu seiner Entscheidung hat das Sozialgericht zutreffend die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit der Zwangsmitgliedschaft in der Jagdgenossenschaft herangezogen (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 13.12.2006). Denn schon das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass die Jagdgenossenschaften nicht nur die Jagdausübung und die Vermeidung von Wildschäden zum Gegenstand ihrer Tätigkeit haben, sondern sie berücksichtigen auch Aspekte des Naturschutzes, der Landschaftspflege und des Tierschutzes, was sich durch eine staatsfreie Organisation nicht genauso gut erreichen ließe. Die Jagdgenossenschaft ist gemäß § 8 Abs. 5 BJagdG Inhaberin des Jagdausübungsrechts und daher gem. § 1 Abs. 1 Satz 2 BJagdG zur Hege und zur Berücksichtigung der in § 1 Abs. 2 BJagdG normierten, mit der Hege verbundenen Gesetzeszwecke verpflichtet, zu denen auch der Naturschutz, die Landschaftspflege und der Tierschutz gehören. Dass die Wildhege auch der Landwirtschaft zugute kommt, indem die geordnete Ausübung der Jagd einen Schutz vor Wildschäden bewirkt, ist eine mittelbare Folge der von der Jagdgenossenschaft vergebenen Jagausübungsrechte, aber vom Gesetzgeber nicht als unmittelbare Zielrichtung der Einrichtung von Jagdgenossenschaften bestimmt. Im Übrigen spreche gegen eine Versicherungspflicht der Jagdgenossenschaften in der gesetzlichen Unfallversicherung auch das systematische Argument, wonach § 123 Abs. 1 Nr. 5 SGB VII lediglich Jagden, nicht aber die Jagdgenossenschaften einbezogen hat. Eine Ausklammerung der Jagdgenossenschaften spricht vielmehr gerade dafür, dass die Jagdgenossenschaften von dem gesetzlichen Unfallversicherungsschutz nicht umfasst sein sollten.
Die gegenteiligen Entscheidungen der Sozialgericht Gotha und Braunschweig konnten die Kammer nicht überzeugen, da beide Entscheidungen ohne argumentative Auseinandersetzungen mit dem Gesetzeszweck des Bundesjagdgesetzes lediglich behaupten, dass Jagdgenossenschaften der Sicherung, Überwachung und Förderung der Forstwirtschaft dienen, eine Begründung jedoch vermissen lassen.
Der Streitwert war naturgemäß erheblich geringer als 5.000,00 EUR. Das Gericht hat ihn jedoch gem. § 197 a SGG i. V. mit § 52 GKG mit Auffangstreitwert auf 5.000,00 EUR festgesetzt. Es ist nämlich grundsätzlich dieser Auffangstreitwert anzusetzen, wenn der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwertes keine genügenden Anhaltspunkte bietet. Dann ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts mindestens der gesetzliche Auffangstreitwert zugrundezulegen. Da die Beiträge allerdings nur gering sind, war nicht der sonst übliche vierfache Auffangstreitwert zugrundezulegen.
Anmerkung:
Dieses Urteil ist sehr wichtig, weil die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften Land auf Land ab versuchen, Jagdgenossenschaften zur Beitragszahlung heranzuziehen. Auch wenn die Beiträge sehr gering sind, summiert sich das natürlich über das gesamte Bundesgebiet und die Zeiträume der nächsten Jahre zu ganz gehörigen Summen. Für eine Versicherungspflicht besteht aber nicht der geringste Anlass, und kein Bedürfnis. Es steht zu erwarten, dass die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft Mittel- und Ostdeutschland gegen dieses Urteil Berufung einlegen wird oder den Antrag auf Zulassung der Revision stellen wird. Wir berichten an dieser Stelle weiter über den Ausgang des sich dann anschließenden Verfahrens.
Dr. Wolfgang Lipps
- Rechtsanwalt -
Der Autor ist selbständiger Rechtsanwalt in Berlin und Verfasser des Kommentars zum Landesjagdgesetz Brandenburg
24.11.09
Jagdgenossenschaften sind nicht sozialversicherungspflichtig
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