"Vor der Schleppe"
Photo: Anna Deimel
Sein Ehrgeiz ist kaum zu bändigen, was man dem zarten DK Rüde Joe nicht ansieht
Auch nach vielen Jahren der Arbeit mit Jagdhunden gibt es immer noch Hunde, die einen vor neue Ausbildungsprobleme stellen.
Dies ist beim DK Rüden Joe nicht anders.
Seit einigen Wochen hat Joe´s jagdliche Ausbildung begonnen und das stupide Gehorsamstraining wurde um die Fächer Quersuche, Apportierarbeit und Verlorensuche erweitert, was seinen Ehrgeiz sichtlich geweckt hat. Wenn ich ihn abhole, sitzt er aufgeregt im Auto und kann es nicht erwarten, zum Arbeiten zu kommen. Ist das Revier in Sichtweite, dann ist er nicht mehr zu bremsen.
Gespannt wie ein Flitzebogen liegt er neben dem geparkten Auto, wenn ich Feldleine, Fuchsdummy und Schleppwild im Rucksack verstaue. Dabei zittert er wie Espenlaub.
Mittlerweile kann man mit ihm 2 Stunden ohne Unterbrechung Übungen abhalten, ohne das er Ermüdungserscheinungen zeigt. Wie ein Schwamm saugt er alles auf, was man ihm beibringen will.
Zudem hat er eine blitzschnelle Auffassungsgabe. Schon jetzt weiß er, das das Verfolgen von Flugwild nichts bringt. Das hat dazu geführt, dass er nach dem Aufsteigen von Fasan oder Rebhuhn diesen nur noch kurz nachschaut, einige Meter zu mir zurückkommt und sich hinsetzt, um dem abstreichenden Flugwild nachzuschauen.
Obwohl er noch sichtliche Scheu vor dem unbekannten Wasser zeigte, holte er gestern sowohl eine Taube , als auch ein Kanin aus dem immer noch sehr kalten Wasser. Immer lief er knurrend am Ufer entlang, das Wild im Auge kämpfte er gegen seinen inneren Schweinehund, um sich dann in einem mutigen Sprung schwimmend dem Schleppwild zu nähern. Der quälende Zwangsapport aber zeigte seine Wirkung: Beherzt griff er sowohl Taube als auch Kanin genau mittig und trug es ohne Abzusetzen den Hang am Seeufer zu mir hinauf!
Es ist eine wahre Freude, mit einem solchen lernwilligen und ehrgeizigen Hund zu arbeiten.
Doch dieser Ehrgeiz hat auch seine Schattenseiten.
Wenn die Übungen beendet sind, geht mir Joe wie die sprichwörtlichen Pferde durch. Wie besessen rast er dann über die Felder und Äcker und scheint dadurch seinen Druck, dem ihm das Arbeiten macht, abzubauen. Dabei ist er weder abrufbar noch ansprechbar. In einem Bogen in Form einer Schleife rast er um mich herum, schießt an mir vorbei, um sofort auf einem anderen Feld die nächste Schleife zu drehen. Glücklicherweise werden mit jedem Tag die Schleifen kleiner und der Druck scheint auch schneller nachzulassen, denn mittlerweile reichen 5-6 Schleifen aus, um mit rasender Geschwindigkeit zu mir zurück zu kommen und sich neben mich zu setzen. Wenn man beim Herannahen nicht zur Seite geht, läuft man Gefahr, von ihm umgerannt zu werden, denn Joe kommt ungebremst herangeflogen, von rennen kann schon keine Rede mehr sein.
Lässt man Joe neben dem Auto herlaufen, so scheint es für Joe nur 2 Geschindigkeiten zu geben, entweder Vollgas oder gar kein Gas. Hat er den weichen Sandboden eines unbestellten Feldes unter den Pfoten, was seinem Rasen scheinbar einen besonderen zusätzlichen Kick verleiht, zeigt die Tachonadel deutlich über 40 km/h an! Auf holprigen Wegen kommt man kaum hinterher. An Wegkreuzungen rast Joe immer erst einmal geradeaus, erst wenn man ihn ruft, dreht er um. Die Idee, an der Kreuzung zu warten, ist ihm bis heute noch nicht gekommen.
Doch den meisten Druck macht ihm das langsame Laufen ohne Leine nah beim Führer, umgangssprachlich "Spazieren gehen" genannt. Entweder er läuft mit dem Kopf an den Oberschenkel geschmiegt bei Fuß, oder er läuft stur nach vorne, ohne sich einmal um zusehen, wo der Führer bleibt und er muss ständig zurückgerufen werden, was ihn sichtlich nervt.
Um ihm das normale Spazieren gehen beizubringen, muss er seither bei normalem Laufen ohne Feld- oder Kurzleine den Fuchsdummy mit sich herumtragen. Mit gequälter Miene zieht er dann seine Kreise um mich. Dies führte zu einer sehr lustigen Gegebenheit: Irgendwie war wieder der Arbeitsdruck durch das monotone Tragen des Fuchsdummies so groß, dass er losrasen wollte. Doch schon nach wenigen Metern merkte er, dass beim Herumrasen mit Dummy irgendwie keine Freude aufkommt. Da das Loslassen bei Höchststrafe ( Dummy kommt wieder ins Maul) verboten ist, unterließ er das Ausspucken, drehte nach einem kurzen Spurt um und blieb bei mir.
Irgendwie erinnert er mich an einen Ferrari, der in Sekunden höchste Drehzahl erreicht, aber Minuten braucht, um wieder auf Standgasumdrehungen zu kommen.
Wenn solch ein Hund dann noch extrem wehleidig ist, stößt man oft an seine Grenzen. Joe hatte sich bei einer seiner Rasereien die Kralle verletzt. Schwer humpelnd schleppte er sich durchs Haus. Ich wurde gerufen und sollte mir die Pfote ansehen, ob nicht irgend etwas gebrochen sei. Als ich zu ihm kam, lag er seitlich auf dem Sofa und streckte er mir die Pfote wehleidig entgegen. Als ich die Pfote in die Hand nahm, wimmerte er herzerweichend, obwohl ich noch gar nicht getastet hatte. Schnell hatte er gemerkt, welche Aufmerksamkeit ihm dadurch zuteil wurde, Das führte dazu, dass er 2 Tage allen Menschen, denen er begegnete, seine Pfote hinhielt und beim Anfassen der Pfote wimmernd um Mitleid gebettelt.
Wie man sieht, haben extrem jagdtriebige und ehrgeizige Hunde mit einer schnellen Auffassungsgabe auch ihre Schattenseiten und sind auch für erfahrene Hundeführer eine echte Herausforderungen. Aber sich ihnen zu stellen ist es, was die Arbeit mit Jagdhunden so spannend macht.
waidmannsheil
Euer
stefan
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14.3.08
Wenn die Ausbildungsarbeit beim Junghund Druck erzeugt
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1 Kommentar:
Doch den meisten Druck macht ihm das langsame Laufen ohne Leine nah beim Führer, umgangssprachlich "Spazieren gehen" genannt. Entweder er läuft mit dem Kopf an den Oberschenkel geschmiegt bei Fuß, oder er läuft stur nach vorne, ohne sich einmal um zusehen, wo der Führer bleibt und er muss ständig zurückgerufen werden, was ihn sichtlich nervt.
Hallo Stefan,
das kenne ich nur zu gut von Minou, wir sind auch beide davon genervt. Ich vom ständigen Zurückrufen und sie von mir... So ist das halt bei den Ferraris ;-).
Viel Spaß noch!
Nicole & Minou
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