12.8.07

Ein Jagdgeschichtenerzähler stellt sich vor













Jagdgeschichtenerzähler Andreas Boening



Fast jeder Jäger kennt das:
Man geht für einige Stunden in den Wald, genießt die Einsamkeit der Natur und wird Zeuge eines einzigartigen Naturschauspiels. Wenn man dann heimwärts geht, ist man noch völlig in den Bann gezogen vom Erlebten und zuhause angekommen erfährt man von seinen Mitmenschen nur Kopfschütteln oder Verwunderung, wenn man vom Erlebten erzählt.

Glücklich kann sich schätzen, wer über die Gabe des Schreibens verfügt, wie Andreas Boening, Jahrgang 1961, wohnhaft in Bad Ems. Er ist nicht nur passionierter Jäger, sondern seine Leidenschaften sind auch Musik, Reisen, Schreiben, Philosophieren, sowie Angeln in Norwegen.

Viele Geschichten über die Jagd und die Natur sind in den letzten Jahren schon zusammengekommen, wovon wir eine, die von seinem Geburtstagsbock, hier veröffentlichen.

Wir wünschen Andreas noch viele Jagderlebnisse und hoffen, dass ihn die Freude am Schreiben niemals verlässt.

waidmannsheil

Euer

stefan




Jagd urig, hart und gewaltig - Der Geburtstagsbock
von Andreas Boening

Geburtstage sind eigentlich Tage, wie jeder andere im Jahr auch. Nur rufen mehr Freunde an als sonst, ach ja und die Frau kümmert sich auch ganz rührend um einen, manchmal jedenfalls. Das geht aber leider nicht, wenn sie in Afrika weilt und der Mann zu Hause bleibt.

Ich behaupte nicht, Jagd sei Ersatz für die entgangene Geburtstagsfeier mit meiner Frau, Jagd ist etwas Spezielles, und wenn mir dabei keine Stunde schlägt, ist es noch spezieller.

Ein Jagdfreund hatte mir die Kanzel zugewiesen auf Böcke, die aus dem Forst hinaus auf einen zirka 30 Hektar großen Gerstenschlag austreten, einen Feldweg passieren und anschließend in die Rüben oder in den angrenzenden Weizen wechseln.

Das Brett, auf dem ich saß, war hart, oder mein Allerwertester hatte ein Muskeldefizit, das kommt ganz auf die Sichtweise an. 12 Stunden nacktes Holz und du kennst deine Muskeln in einer bestimmten Region ganz genau. Übung im Bretter-Sitzen hatte ich jedenfalls, zwei Nächte hindurch wachte ich an einer Wiese und an einem Weizenschlag, ob nicht Sauen meinen Weg kreuzten, sie waren jedenfalls im Revier und manch ein Landwirt hatte sich schon beschwert, es würden zu wenige geschossen.

Was mich allerdings auf der Kanzel am Feldweg erwartete, wagte ich nicht zu hoffen. Mountainbiker radelten entlang der Waldkante, an der das Wild ins Feld wechselt, und Spaziergänger nutzten ebenfalls die Abendstunden, um bei einem kleinen Tete a Tete ein bisschen Bewegung zu genießen. Ich dagegen bewegte mich nicht oder nur eine bestimmte Muskelpartie, wenn es wieder einmal zwickte.

Irgendwann wurde es mir zu bunt, ich stieg herab und legte mich an den Wegesrand, rollte ein paar Mal mit den Augen und schlief ein. Ein schöner Jäger ist das, aber die Nächte zuvor waren lang und tagsüber fand ich nicht den richtigen Schlaf, also musste es an diesem Abend sein. Ich wachte wieder auf und kletterte auf die Kanzel und nahm das Brett wieder in Beschlag. Ich hatte nichts versäumt, die Felder waren noch da und der Wald stand auch an gleicher Stelle.

Die Dämmerung brach herein und mit ihr kam Leben in die Bude. Ein dunkler roter Punkt zeichnete sich am Waldesrand ab, Rehwild, ein Bock, hoch auf, aber um ihn genau anzusprechen, war er zu weit. Langsam zog er das Feld hinunter. "Komm du nur in meine Richtung", dachte ich. Nichts geschah, da konnte ich noch so wünschen, hoffen, beten... die Geschicke der Welt bestimmt ein anderer.

Was machen? Schießen auf eine Entfernung von geschätzten 250 Metern? Nein, das ist mir zu weit. Entfernung und Jagdfieber, da sind bei mir derart weite Schüsse mehr Glückssache, denn Handwerk. Warten hieß daher die Devise.

Dennoch konnte ich es nicht lassen, nahm die Sauer zur Hand und legte an, zielte, machte langsam den Finger krumm.....und nichts geschah. War auch so gewollt, ich hatte mich ja entschieden, auf diese Entfernung nicht zu schießen. Der Bock zog weiter seiner Wege, dachte nicht daran, sich in meine Nähe zu begeben. Langsam wurde es dunkel, nur die Gerste und der Weizen bildeten eine helle Grundlage, um darin Rehwild bei geeigneter Entfernung anzusprechen.

Das war also mein Geburtstagsjagdwochende. Zwei Nächte auf Brettern, die mir jetzt die Welt bedeuteten, einen Jährlingsbock, den ich nicht bekommen hatte und ein Keiler, der sich in einem Weizenfeld tummelte, mich aber bei einer unbedachten Bewegung spitz bekam und mir auf seine Art auf Wiedersehen sagte, lange bevor ich überhaupt die Waffe in der Hand hatte. Das war an den Tagen zuvor.

Jetzt hatte ich noch ein paar Minuten. Zeit zum Genießen. Der Genuss wurde größer, als ich hinter mir ein Rascheln in den Rüben hörte.

Prima, da ist Wild, nur um es zu sehen, musste ich mich um 180 drehen, was unmöglich war. Dazu müsste ich aufstehen und mich drehen, bei der engen Kanzel eigentlich nicht ohne Lärm zu schaffen. Überlegungen, wie mir das gelingen soll, zerstoben aber im selben Augenblick, denn plötzlich kam in hohen Sprüngen mein Bock von vorhin auf mich zu. Jedenfalls lief er in meine Richtung, beachtete aber weder die Kanzel noch mich, sondern sein Interesse galt dem Rübenfeld. Und dass lag ja in meinem Rücken.

Dort raschelte es auf einmal ganz gewaltig. Sauen dachte ich, hinter mir sind Sauen und ich glotze sie mit meinem Rücken an. Langsam versuchte ich mich nun doch zu drehen. Und eckte prompt mit der Waffe an. Klack, Klack. Na das hört doch jeder!

An diesem Abend allerdings nicht, das Rascheln dominierte, es waren jetzt zwei derartige Geräusche. Immer noch nicht sicher, ob es denn nun Sauen waren oder nicht, gelangte ich endlich in eine – wenn auch unbequeme Lage – das Rübenfeld und den dahinter liegenden Weizenschlag ins Auge zu nehmen. Und ich sah Faszinierendes.

Mein Bock und ein weiterer Geselle, tauschten plätzender Weise Visitenkarten aus. Umkreisten sich wie zwei Boxer, die jeden Moment aufeinander losgehen werden. Immer wieder. Plötzlich ein Positionswechsel. Der Rechte war jetzt links, der Linke jetzt rechts. Welcher war aber „mein" Bock? Ganz klar der Rechte. Fast so, wie beim Hütchenspiel.

Ich konnte die zwei zwar beobachten, aber ans Schießen war nicht zu denken. Klack, Klack machte es wieder, außerdem knarrte der Fußboden. Den Böcken war das egal. Sie kümmerten sich nur um den jeweiligen Rivalen. Immer wieder plätzend, kreiselten sie umeinander herum. Zum Kampf waren sie noch nicht bereit. Imponiergehabe stand ganz eindeutig im Vordergrund.

Ich hatte meine Waffe im Anschlag: genau das Ziel erfassen, entsichern, zielen, zielen. Jetzt. Der Schuss fiel und mit ihm der Bock. Ruhig war es auf dem Platz. Kein Publikum, das frenetisch den Kämpfenden applaudierte. Kampf vorbei. Ruhe, nichts als Ruhe.

Stolz stellte ich die Waffe ab. Enttäuscht darüber, dass sein Kampfrivale nicht mehr zu sehen war, schreckte nach ein paar Minuten der zweite Bock und sprang ab. Schade, wird er gedacht haben, den hätte ich bestimmt in die Flucht geschlagen. Feigling der.

Ich wartete noch ein paar Minuten und ging dann zum vermeintlichen Anschuss. Zu früh wie sich schnell herausstellte. Der Bock wurde hoch und sprang ins Rübenfeld. Die Geräusche waren aber eindeutig. Er hatte den Schuss, war schwer getroffen, lebte aber noch. Was tun?

Fangschuss antragen, aber dazu musste ich ihn erst im Rübenfeld finden. Um es kurz zu machen, es gelang mir nicht. Ich telefonierte dem Jagdfreund Bescheid und informierte einen Hundeführer, der versprach, in wenigen Minuten mit seinem Jagdterrier zur Stelle zu sein. Inzwischen holte ich meinen Wagen und wartete.

Kurze Besprechung mit dem Hundeführer. Dann ging es in die Rüben, nach wenigen Metern fanden wir ein Wundbett. Der Hund wurde geschnallt. Bange Minuten. Was ist mit dem Bock?

Dass er schwer getroffen ist, wusste ich, aber wo liegt er? Wir finden nichts, der Hund sucht weiter. Gib Laut denke ich nur, gib Laut, wenn du ihn gefunden hast. Und der Hund gibt laut, allerdings nicht da, wo ich vermutete, nicht in den Rüben, sondern im Weizenfeld, zirka zweihundert Meter von mir entfernt. Waidmannsheil höre ich rufen und mir fallen zentnerschwere Felsen vom Herzen.

Der Bock lag. Glücklich war ich, aber nicht unbedingt über meinen Schuss. Die Blattschaufel war tief getroffen, der Ausschuss nur geringfügig höher, die Lunge verletzt. Der Adrenalinstoß beim Imponiergehabe mit seinem Rivalen muss wohl so gewaltig gewesen sein, dass er sein Leben nicht einfach hergeben wollte.

Ich schulterte ihn und machte mich auf zum Wagen. Zweihundert Meter und mehr, und jeden Meter dachte ich an das an diesem Abend Erlebte.
Jagd pur, urig, hart, gewaltig.

Der Bock übrigens ist geschätzte 5 Jahre alt, ein Sechser. Mein stärkster bisher. Aber das tut wenig zur Sache. Das Erlebnis war es, das mich noch lange wach und nachdenklich zurück ließ.

Wieder einmal bewahrheitete sich, dass Jagd ohne Hund keine Jagd ist. Sehnsuchtsvoll wünsche ich mir den Tag herbei, da es räumlich möglich sein wird, einen Hund zu halten, allein ich muss mich noch gedulden.

Danken möchte ich an dieser Stelle meinem Jagdfreund für seine Großherzigkeit, mir einen derartigen Bock freizugeben, für seine Freude mit mir. Dem Hundeführer für die erfolgreiche Nachsuche und Terrierhündin Bell, für das Finden des Bockes mitten in einem inzwischen dunkel gewordenen, mit Regen durchtränkten Weizenfeld.

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